Leckgeschlagen…

…ist ja dieser Tage so einiges, ganz aktuell aber wohl die US-amerikanische Außenpolitik.

Dabei war die ganze Sache doch absehbar. Im Prinzip ist das, was sich da gerade vor den Augen der Welt abspielt, nichts anderes als ein riesiges Sandkastenspiel. Du haust mir eine runter, also schmeiss ich Dir Sand in die Augen. Du hast mich geschubst, also zertrampel ich Deine Sandburg. Klasse.

Es ist sogar völlig unerheblich, wer mit dem Spiel angefangen hat (ist es bei Kindern auch), spannender ist die Frage, wie mit dem offenkundigen Konflikt umgegangen wird.

Eine Weltmacht wie die USA, die noch dazu geradezu paranoid ist, was eigene Sicherheitsbelange betrifft, müsste sich angesichts schwerwiegender Informationslecks eigentlich erst einmal ganz intensiv mit den Ursachen dieser Lecks und den Inhalten der bekanntgewordenen, angeblich geheimen Informationen auseinandersetzen. Nicht so jedoch in diesem Fall. Anstelle einer vorrangigen Befassung mit den eigenen Problemen wird zunächst einmal massiv auf den „Whistleblower“ geschossen – und das aus allen Rohren, einschließlich ausgesprochen schmutziger solcher.

Damit kein falscher Eindruck entsteht, ich maße mir weder an, die heute weltweit in der Presse angeprangerte Weltsicht der USA zu beurteilen, noch ob Julian Assange zu recht oder nur willkürlich strafrechtlich verfolgt wird. Mir geht es um die höhere Ebene:

Einerseits begrüße ich, dass jemand, der von undichten Stellen in Regierungsorganisationen Kenntnis erlangt, dies publik macht. Man kann dies sicher auf sehr unterschiedliche Weise tun, genau wie das auch z.B. bei den allfälligen Sicherheitslücken von Software geschieht. Der eine schickt dem Betroffenen eine Warnung und sagt „Hey, ich würd mal da und da checken…“, der andere sagt sich „Das bringt ja sowieso nichts, hier muss ich das ganz große Fass aufmachen…“ – und dazwischen gibt’s eine Menge feine Nuancen. Ob WikiLeaks hier den Pfad der Tugend beschritten oder gefährlich am Abgrund agiert hat wird wohl nur die Zeit zeigen können.

Andererseits muss sich die im aktuellen Fall betroffene US-Regierung die Frage gefallen lassen, wie sehr sie ihrem eigenen Anspruch an Ethik und Moral gerecht wird. Wenn ich ein Problem mit der Vorstellung habe, meine hinter vorgehaltener Hand geäußerte Meinung über irgendjemanden könnte mir schweren Schaden zufügen, wenn sie denn jemals publik wird – dann bin ich gut beraten, schlicht und einfach den Mund zu halten. Nichts verbreitet sich schneller als eine Information, die als „geheim“ eingestuft ist und dann irgendwo durchsickert – das ist die Natur des Menschen und die ändert auch keine selbsternannte oder anerkannte Weltmacht.

Um zum Sandkastenspiel zurückzukommen: Als bekannt wurde, dass WikiLeaks über Informationen verfügt oder an Informationen zu kommen weiß, die dann vielleicht doch besser geheim gehalten würden, hätte der Eigentümer der Information vielleicht mal strategische Gespräche führen können. Ich sträube mich einfach dagegen, WikiLeaks pauschal soviel kriminelle Energie zu unterstellen, dass sie die erfahrenen Geheimnisse in jedem Fall vollumfänglich publik gemacht hätten, selbst wenn man auf sachlicher Ebene Gespräche gesucht hätte. Stattdessen wurde massiv gegen die Plattform vorgegangen, und der Selbstverteidigungsreflex führte zu weiteren Enthüllungen – die Eskalation ist bestimmt noch nicht abgeschlossen.

Wie peinlich es potenziell für die Amerikaner kommen könnte, das haben ja schon die diplomatischen Vorwarnungen der letzten Tage gezeigt – da suchte man bereits das Gespräch mit befreundeten Regierungen a la „es könnte sein dass Euch da jemand was steckt was Ihr so nicht von uns gedacht hättet“. Der Witz ist bloss – ich bezweifle, dass die das alle wirklich nicht gedacht hätten. Herr Berlusconi, den man ja sonst nicht unbedingt geneigt ist, besonders ernst zu nehmen, macht jedenfalls fröhlich Witze über das, was da so ans Licht kam. Vermutlich sind die meisten betroffenen Regierungen – sofern sie dazu ansatzweise fähig sind – gut beraten, hier Humor walten zu lassen. Im übrigen traue ich Politikern zu, dass die alle gleich ticken und keiner am anderen ein gutes Haar lässt wenn nur die Gesellschaft (und im Zweifel der Alkoholpegel) stimmt.

Am Ende ist die ganze Affäre vielleicht für eins gut: Sie zeigt uns überdeutlich, in welch einer vergleichsweise doch glücklichen Zeit wir leben. Noch vor zwei Generationen wäre eine derartige „Enthüllung“ diplomatischer Intimitäten für Waffengänge gut gewesen. Heute gibt’s gerötete Wangen und wenn wir Glück haben vielleicht den einen oder anderen überfälligen Rücktritt (wobei ich daran erst glaube, wenn er in den Nachrichten steht) – aber das war’s dann auch schon. Der einzige Diktator, der sich aktuell provoziert fühlen könnte, dürfte durch dieses Leck nicht wirklich Neues über sich erfahren haben und spielt ja aktuell ohnehin schon fleißig mit dem Feuer – für seinen ganz persönlichen Krisenherd konnte es also auch nicht schlimmer werden.

Was ich mir wünsche? Mehr Offenheit und Ehrlichkeit in dieser Welt. Und vielleicht, dass die, die sich anmaßen, hierfür Maßstäbe vorzugeben, diese auch vorleben. Es ist so leicht, Richtlinien für andere aufzustellen – aber unvergleichlich schwerer, diese auch für sich selbst glaubwürdig umzusetzen. Vor allem, wenn man nach all den Jahren und all den Konflikten praktisch „betriebsblind“ geworden ist.

Leitmotto der USA ist „In God We Trust“ – ich fürchte, in Anlehnung an eine bekannte Kaffeewerbung hält man sich zu oft an Petrus‘ (John Malkovich’s) Einlassung: „Maybe we could make an arrangement…“

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