Sind wir zukunftsunfähig?

Zu Stuttgart 21 wurde bereits viel – möglicherweise alles – gesagt. Aber wenn man sich aktuelle Berichterstattungen z.B. vom Gotthardt-Tunneldurchstich anschaut, so drängt sich doch mehr und mehr die Frage auf: Warum kriegen andere Länder vermeintlich ohne immensen Aufruhr im wahrsten Sinne des Wortes „bahnbrechende“ Großprojekte gestemmt während bei uns alles mehr und mehr versandet, medienwirksam blockiert oder einfach nur kaputtdiskutiert wird?

Dabei gibt es sicherlich zwei Aspekte, die nicht zu leugnen sind: Der eine ist, dass wir weit entfernt sind von den Zeiten, wo alles, was erstrebenswert schien, auch als bezahlbar angenommen wurde (dass es das in der Regel nicht war, belegen die ererbten Schuldenlasten). Der andere ist, dass nicht alles, was politisch gewollt ist, auch objektiv sinnvoll sein muss.

Dabei muss man sich mal vor Augen halten, dass gerade Deutschland in puncto Großprojekte durchaus Phasen hatte, wo es weltweit führend war. Diese waren – von einer höchst unrühmlichen Ausnahme abgesehen – in der Regel auch von einer gewissen Prosperität begleitet, und spätestens das sollte uns in unserer Post-Bankenkrisen-Zeit zu denken geben. Zwar überschlagen sich manche Experten derzeit geradezu mit rosigen Prognosen über die deutsche Wirtschaft, aber ganz viel davon baut natürlich wieder mal auf den Außenhandel – wenn auch mal im Land ordentlich die Schüppen geschwungen würden, wäre dem Ganzen mglw. etwas mehr Nachhaltigkeit beschert.

Es ist aber auch so schön (und scheinbar eine deutsche Tugend), Althergebrachtem die Stange zu halten. Da wird über Jahre und Jahrzehnte hinweg der deutsche Kohlebergbau mit massiven Subventionen und gleichzeitig erheblichen Kollateralschäden für die Bevölkerung am Leben gehalten – und wenn dann eine EU auf den Trichter kommt, das Timing für den Ausstieg durcheinanderzuwürfeln, ist das erste was uns – respektive den unmittelbar Betroffenen – einfällt: Protest. Klasse.

Dann kommt eine – zugegebenermaßen aktuell nicht sonderlich beliebte – Regierung daher und verkündet den Rückzug vom Ausstieg aus der Kernenergie. Interessant ist, dass diejenigen, die als vehementeste Gegner dieser Energieform gelten, früher als „Alternative“ firmierten – sich aber heute gern auch so mancher sinnvoller „Alternative“ zu den mehr oder weniger zurecht abgelehnten Projekten verschließen. Solche können und müssen eben vielleicht auch mal große Windparks in Wattgebieten (was fast wie ein Wortspiel anmutet) oder verkehrstechnisch sinnvolle Bahnhofsumbauten unter Brutgebieten gewisser Käferarten sein…

…was nicht kommentarlos jedes Großprojekt in Schutz nehmen soll – beileibe nicht! Gerade bei Stuttgart 21 musste ich ein wenig an den „Anhalter“ denken. Dieses Projekt ist nicht erst seit gestern in der Mache und deutsche Gründlichkeit bietet so ziemlich jedem, der nicht davon betroffen ist, die Möglichkeit, seinen Senf oder gar Widerspruch zu einem derartigen Projekt zu äußern – bevor es in Angriff genommen wird. Ein von a bis z genehmigtes Projekt aber dann im Nachhinein doch wieder komplett in Frage stellen zu wollen… fast möchte man sagen, „zu Kaiser’s Zeiten hätt’s das nicht gegeben“ (obwohl in jener autoritären Zeit auch mehr Messing als Gold war, was glänzte…).

Ein anderes, ebenfalls verkehrstechnisches Beispiel für deutsche Kleindenkerei ist der schon legendäre Transrapid. Was haben wir das Ding damals in den 80ern als Vorboten der Moderne bewundert und gespannt darauf gewartet, wann man damit mal so richtig gepflegt von irgendeinem A nach irgendeinem B würde sausen können – statt bis zu einem glücklosen Tag im Emsland einsame Kreise zu ziehen. Geworden ist aus alledem nur eins – die Technologie wird beim einzigen Großkunden inzwischen kopiert und bei uns nach Auslaufen der Patente vermutlich eingestampft. Mag ja sein, dass die notwendigen Unterbauten nicht gerade hübsch gewesen wären – das war die Wuppertaler Schwebebahn aber auch nie und wird trotzdem als historisches und dennoch zukunftsweisendes Verkehrskonzept international bewundert. Womit wir wieder beim „früher ging’s doch auch“ wären.

Haben wir verlernt, innovativ zu sein? Sicher nicht. Aber der Sinn für etwas, was eine Gesellschaft eben auch voranbringt, nämlich das gemeinsame Anpacken für etwas ganz Großes – das ist in unserer Zeit kläglich abhanden gekommen. „Zuerst komme ich, dann lange nichts, dann sicherheitshalber erst nochmal ich, und dann können wir mal diskutieren…“ – schade.

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